Finanziell gesehen schafft man es in Deutschland. Das
Gesundheitssystem funktioniert noch sozial. Die Herz-OP, regelmäßige
Kontrolltermine im auf Entwicklungsverzögerungen spezialisierten SPZ,
Dauerverordnungen für Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie, Pflegegrade mit
etwas Pflegegeld, Hilfsmittel beantragen. Wenn man erst einmal einen guten
Kinderarzt und gute Therapeuten gefunden hat, gibt es da wirklich sehr fähige
empathische Menschen. Aber sie sind rar. Und man muss ohne Ende Anträge
stellen, Fristen abwarten, da wenig Sachbearbeiter viel bearbeiten müssen, in
Widerrufe gehen, warten, dranbleiben, vielleicht Erfolg haben, vielleicht auch
nicht. Es gibt auch keine übergeordnete Stelle, die sagt, dies hier ist alles
möglich einzufordern bei einem Kind mit Trisomie 21, man muss sich das meiste
selbst belesen, probieren, nachhaken, da Fachpersonal leider oftmals keine
Ahnung hat. Dies passiert dann am Abend, nachdem der Alltag gelaufen ist. Der
Alltag, das sind zusätzlich zur Arbeit/KITA/Schule, Geschwisterkinder,
Vereinsleben, Haushalt, Garten, Einkauf, sowie besagte Therapietermine, die
Zeit benötigen. Und Arbeitgeber denken nicht sozial, sie sind auf ihre
maximalen Einnahmen bedacht. Als Vater ist man eh immer „nur“ der Vater und
jeder Kindkranktag wird hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Und als Mutter
ist man kaum attraktiv, wird erstmöglich aussortiert und hat Schwierigkeiten
irgendwo neu Fuß zu fassen, sowie man ehrlich seine häusliche Situation angibt.
Dies ist gelebte Realität. Da fehlt es auf der Arbeitgeberseite oft an Fantasie
welch enorme Managementqualität hinter der Organisation einer größeren Familie
mit besonderem Kind steht. Habe ich da mehr erwartet? Leider nein, nicht im
strukturschwachen Osten. Da wurden meine Befürchtungen leider nur erfüllt.
Wo ich positiv überrascht wurde, dass mit dem Drängen auf
eine Regel-KITA, die Erzieher trotz innerer Vorbehalte, einfach aus einem
Nichtkennen heraus, immer souveräner im Umgang mit Einschränkungen durch
Entwicklungsverzögerungen geworden sind und dies auch offen kommunizieren. Am
Ende freuten sie sich über diese positive Erfahrung, nehmen sie für ihre
Zukunft mit und möchten Jordi gar nicht mehr missen. Doch diese Vorbehalte
werden uns weiterhin begleiten. Bei jeder größeren Gruppe, in einer möglichen
Regel-Schule, in jedem Sportverein wird es zuerst Bedenken geben, kann das gut funktionieren?
Die Antwort: Einfach machen!
Aber das Problem dabei ist, Jordi ist kein Vorreiter. Weder
motorisch könnte er leistungsmäßig mit Gleichaltrigen mithalten, und das in
einer Leistungsgesellschaft. Außerdem ist das größte Problem, er spricht noch
nicht. Wahrscheinlich hat er eine VED, die ihm das Ansteuern von Wörtern
erschwert, weswegen man sich über Buchstabenlernen rantasten muss. Aber dieses
Erlernen benötigt eben auch sehr viel Zeit und solange dies noch nicht funktioniert,
ist dies auch immer ein Argument der Behörden dafür, ihn in einer Förderschule
zu separieren. Und nein, wir haben nicht prinzipiell etwas gegen Förderschulen,
die immer weiter wieder zunehmen und damit das Menschenrecht der Teilhabe
untergraben. Das Problem ist, landest Du in der Bubble, bleibst Du in der
Bubble. Förderschule, Werkstadt für ein paar Kröten, betreutes Wohnen irgendwo,
ausgeschlossen vom gesellschaftlichen Leben, bis irgendeine rückwärtsgewandte
Partei kommt und entscheidet: „Ui ganz schön teuer, was machen wir?!“. Und das
Alles, weil Behinderungen über Jahre nicht gesehen oder mitgedacht werden,
nicht teilhaben dürfen, am besten vorher schon genetisch outgesourct werden
sollen.
Inklusion wird im gesellschaftlichen Alltag eigentlich nicht
gelebt. Freunde und Verwandte freuen sich über ihn. Es gibt freundlich
zugewandte Menschen, aber die meisten sind doch eher uninteressiert an ihm,
laufen mit persönlichen Scheuklappen herum. Nur wenige haben offen
missbilligende Gesichtsausdrücke aufgesetzt. Sprüche gibt es eigentlich nie
direkt. Würde ich denen aber auch nicht empfehlen! Naja, wenigstens bei den
Kindern läuft es besser, die sind da offener, oder? Warte, sein Zwillingsbruder
bekommt Einladungen zu Kindergeburtstagen, Jordi nicht. Ich mach da keine Vorwürfe, er ist halt
entwicklungsverzögert. Aber sollen „sie“ deswegen „unter sich“ bleiben? So
viele Kinder mit Down-Syndrom gibt es gar nicht mehr. Tendenz abnehmend
aufgrund der Tests im Vorfeld.
Habe ich mehr erwartet von Jordi? Insgeheim vielleicht. Bei
all der Förderung, die wir betreiben.
Schön wäre, wenn er sich mehr von seinen Geschwistern abschauen würde,
selbst mehr „in die Puschen“ kommen würde. Aber es ist auch immer ein
Glücksspiel, wie stark das einundzwanzigste Chromosom 3-fach in den
verschiedenen Zellen auftritt. Manch Mosaik-Trisomie ist kaum ausgeprägt und
die Kinder nah am eigentlichen Entwicklungsstand. Aber Jordi kann halt noch
nicht reden, kommuniziert mit Gebärden. Ich empfinde ihn tatsächlich sehr
aufnahmefähig und wach im Kopf, aber vielleicht ist das auch nur mein
Vaterherz, dass das so sehen will? Vor allem benötigt Jordi Zeit, weiterhin
seine Entwicklung so zu vollziehen in dem Tempo, welches er benötigt.
Eigentlich ja jedes Kind…
Habe ich mehr von mir erwartet? Ich hätte gern manchmal etwas mehr Geduld. Aber ich komme halt auch nur schwer aus meiner Haut.

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