4.Geburtstag. Zerrissenes Geschenkpapier überall, Tröten tönen, Luftballons fliegen umher. Zeit, um Zurück zu blicken! Und ich gebe es zu, ich habe mehr erwartet. Mehr erwartet, seitdem vor 4 Jahren das Thema Behinderung und Teilhabe zu unserem Thema wurde. Vielleicht war ich auch einfach naiv? Von außen gefühlt waren wir damals auf einem guten Weg. In jeder Werbung wurde Inklusion und bunte Vielfältigkeit propagiert. Doch mit ansteigenden Problemen Covid-Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation, Erstarkung neo-konservativer faschistischer Parteien kühlte auch die inklusive Weltanschauung wieder ab und wurde als links woke gecancelt. Und in der Tiefe war sie eh nie so richtig da.

Finanziell gesehen schafft man es in Deutschland. Das Gesundheitssystem funktioniert noch sozial. Die Herz-OP, regelmäßige Kontrolltermine im auf Entwicklungsverzögerungen spezialisierten SPZ, Dauerverordnungen für Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie, Pflegegrade mit etwas Pflegegeld, Hilfsmittel beantragen. Wenn man erst einmal einen guten Kinderarzt und gute Therapeuten gefunden hat, gibt es da wirklich sehr fähige empathische Menschen. Aber sie sind rar. Und man muss ohne Ende Anträge stellen, Fristen abwarten, da wenig Sachbearbeiter viel bearbeiten müssen, in Widerrufe gehen, warten, dranbleiben, vielleicht Erfolg haben, vielleicht auch nicht. Es gibt auch keine übergeordnete Stelle, die sagt, dies hier ist alles möglich einzufordern bei einem Kind mit Trisomie 21, man muss sich das meiste selbst belesen, probieren, nachhaken, da Fachpersonal leider oftmals keine Ahnung hat. Dies passiert dann am Abend, nachdem der Alltag gelaufen ist. Der Alltag, das sind zusätzlich zur Arbeit/KITA/Schule, Geschwisterkinder, Vereinsleben, Haushalt, Garten, Einkauf, sowie besagte Therapietermine, die Zeit benötigen. Und Arbeitgeber denken nicht sozial, sie sind auf ihre maximalen Einnahmen bedacht. Als Vater ist man eh immer „nur“ der Vater und jeder Kindkranktag wird hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Und als Mutter ist man kaum attraktiv, wird erstmöglich aussortiert und hat Schwierigkeiten irgendwo neu Fuß zu fassen, sowie man ehrlich seine häusliche Situation angibt. Dies ist gelebte Realität. Da fehlt es auf der Arbeitgeberseite oft an Fantasie welch enorme Managementqualität hinter der Organisation einer größeren Familie mit besonderem Kind steht. Habe ich da mehr erwartet? Leider nein, nicht im strukturschwachen Osten. Da wurden meine Befürchtungen leider nur erfüllt.

Wo ich positiv überrascht wurde, dass mit dem Drängen auf eine Regel-KITA, die Erzieher trotz innerer Vorbehalte, einfach aus einem Nichtkennen heraus, immer souveräner im Umgang mit Einschränkungen durch Entwicklungsverzögerungen geworden sind und dies auch offen kommunizieren. Am Ende freuten sie sich über diese positive Erfahrung, nehmen sie für ihre Zukunft mit und möchten Jordi gar nicht mehr missen. Doch diese Vorbehalte werden uns weiterhin begleiten. Bei jeder größeren Gruppe, in einer möglichen Regel-Schule, in jedem Sportverein wird es zuerst Bedenken geben, kann das gut funktionieren? Die Antwort: Einfach machen!

Aber das Problem dabei ist, Jordi ist kein Vorreiter. Weder motorisch könnte er leistungsmäßig mit Gleichaltrigen mithalten, und das in einer Leistungsgesellschaft. Außerdem ist das größte Problem, er spricht noch nicht. Wahrscheinlich hat er eine VED, die ihm das Ansteuern von Wörtern erschwert, weswegen man sich über Buchstabenlernen rantasten muss. Aber dieses Erlernen benötigt eben auch sehr viel Zeit und solange dies noch nicht funktioniert, ist dies auch immer ein Argument der Behörden dafür, ihn in einer Förderschule zu separieren. Und nein, wir haben nicht prinzipiell etwas gegen Förderschulen, die immer weiter wieder zunehmen und damit das Menschenrecht der Teilhabe untergraben. Das Problem ist, landest Du in der Bubble, bleibst Du in der Bubble. Förderschule, Werkstadt für ein paar Kröten, betreutes Wohnen irgendwo, ausgeschlossen vom gesellschaftlichen Leben, bis irgendeine rückwärtsgewandte Partei kommt und entscheidet: „Ui ganz schön teuer, was machen wir?!“. Und das Alles, weil Behinderungen über Jahre nicht gesehen oder mitgedacht werden, nicht teilhaben dürfen, am besten vorher schon genetisch outgesourct werden sollen.

Inklusion wird im gesellschaftlichen Alltag eigentlich nicht gelebt. Freunde und Verwandte freuen sich über ihn. Es gibt freundlich zugewandte Menschen, aber die meisten sind doch eher uninteressiert an ihm, laufen mit persönlichen Scheuklappen herum. Nur wenige haben offen missbilligende Gesichtsausdrücke aufgesetzt. Sprüche gibt es eigentlich nie direkt. Würde ich denen aber auch nicht empfehlen! Naja, wenigstens bei den Kindern läuft es besser, die sind da offener, oder? Warte, sein Zwillingsbruder bekommt Einladungen zu Kindergeburtstagen, Jordi nicht.  Ich mach da keine Vorwürfe, er ist halt entwicklungsverzögert. Aber sollen „sie“ deswegen „unter sich“ bleiben? So viele Kinder mit Down-Syndrom gibt es gar nicht mehr. Tendenz abnehmend aufgrund der Tests im Vorfeld.

Habe ich mehr erwartet von Jordi? Insgeheim vielleicht. Bei all der Förderung, die wir betreiben.  Schön wäre, wenn er sich mehr von seinen Geschwistern abschauen würde, selbst mehr „in die Puschen“ kommen würde. Aber es ist auch immer ein Glücksspiel, wie stark das einundzwanzigste Chromosom 3-fach in den verschiedenen Zellen auftritt. Manch Mosaik-Trisomie ist kaum ausgeprägt und die Kinder nah am eigentlichen Entwicklungsstand. Aber Jordi kann halt noch nicht reden, kommuniziert mit Gebärden. Ich empfinde ihn tatsächlich sehr aufnahmefähig und wach im Kopf, aber vielleicht ist das auch nur mein Vaterherz, dass das so sehen will? Vor allem benötigt Jordi Zeit, weiterhin seine Entwicklung so zu vollziehen in dem Tempo, welches er benötigt. Eigentlich ja jedes Kind…

Habe ich mehr von mir erwartet? Ich hätte gern manchmal etwas mehr Geduld. Aber ich komme halt auch nur schwer aus meiner Haut.

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